Gender Studies

GENDER Studies – was bedeutet das?

Paula-Irene Villa Braslavsky, LMU München

August 2019

Die Gender Studies sind ein multidisziplinäres Feld. Sie setzen sich aus einer Reihe von Perspektiven und Methoden zusammen: Natur-, Ingenieur- und Technikwissenschaften, Sozial-, Kultur- und Geisteswissenschaften, angewandte und Grundlagenforschung, alle sind beteiligt. Auch im Forum Gender Studies Bayern versammeln wir eine vielfältige und breite Palette an Themen, Perspektiven und Verortungen hinsichtlich der Forschung und Lehre. Alle eint das Interesse daran, wie Geschlechtlichkeit – Gender – funktioniert und wie dies für wen wo und warum relevant wird: Gibt es geschlechtliche Unterschiede bei der Diagnose und Behandlung von Krankheiten? Wie wurde in anderen Epochen, wie wird heute Gender in Medien, etwa Büchern oder Filmen inszeniert und verhandelt? Inwiefern spielt Geschlecht für Berufe und Arbeitsmärkte eine Rolle? Welche Geschlechter sind wie von Gewalt betroffen? Spielt Geschlecht in der Oper eine Rolle und wie? Wie wurden und werden Vorstellungen von Nation, Volk und Geschlecht im politischen Raum wirksam? Wieso nehmen Väter kürzer Elternzeit als Mütter? Welche Geschlechterrollen wurden und werden in welchen religiösen Kontexten formuliert? Die Liste ist noch viel länger.

Was meint der Begriff Gender? In der Forschung wie auch in Teilen von Politik und Alltag meint ‚gender‘ eine biosoziale Differenzierung. Eine Unterscheidung also – z.B. zwischen männlich und weiblich, zwischen inter-, trans- oder cis-gender, oder auch zwischen ‚richtig‘ geschlechtlich und ‚falsch‘ – die von Menschen gemacht ist, und die selbstverständlich auch somatische / körperliche / materielle Dimensionen einschließt. Dabei geht die Forschung mit dem Begriff ‚gender’ davon aus, dass Geschlechterdifferenzierungen nicht allein, nicht monokausal und womöglich nicht einmal entscheidend von einer außersozialen natürlichen Basis determiniert werden. Denn einerseits sind geschlechtliche Unterscheidungen und Kategorisierungen historisch, regional und je nach Kontext hoch variabel, andererseits bedarf jede biologische Dimension der Interpretation, sofern sie gesellschaftlich relevant ist. In diesem Sinne arbeiten die Gender Studies mit einem komplexen Natur-Begriff. Sie gehen aus von der Ko-Konstitution von ‚Natur‘ und ‚Kultur‘. Teile der Gender Studies untersuchen Vorstellungen von Natürlichkeit rund um Geschlecht, etwa in historischer Perspektive, in den Medien, in der Wissenschaft, in Politik usw. Dabei sind sie kritisch gegenüber der Alltagsannahme, dass ein biologischer Faktor allein (Gene, Hormone, neuronale Struktur, Gebärmutter usw.) alle Aspekte von Geschlechtlichkeit determiniere.

In den Gender Studies geht es nicht nur um Frauen – es gibt eine Fülle an wiederum multidisziplinären Arbeiten zu Männlichkeit(en) – und es geht nicht nur um Männer. Das kann so sein, etwa in empirischen Arbeiten zu Berufen oder zur Geschichte konkreter Personen. Aber der Gender-Begriff steht für ein relationales und nicht (oder nicht zwingend) binäres Verständnis von Geschlecht. Das heißt, dass es um ganz unterschiedliche Formen der Geschlechterdifferenzierungen gehen kann.

Gender meint in den Gender Studies eine von Menschen gemachte, in Praxis realisierte Differenzierung. Dieses ‚doing gender‘ vollzieht sich in historischen Prozessen, als Teil von sozialen Strukturen und in komplexer Weise. Dabei ist die verobjektivierte soziale Differenzierung ‚gender‘ unausweichlich mit anderen Differenzen (wie Klasse/Schicht, Sexualität, Alter usw.) verschränkt (was derzeit in der Forschung z.T. als ‚intersectionality‘ bezeichnet wird). Gender ist also ebenso ein Aspekt konkreter Praxis und Interaktionen, etwa im Alltag, in der Technik, im Beruf, in der Familie, in Subkulturen usw., wie es Teil von Diskursen und Strukturen ist, die von langer Dauer und den Individuen nicht unmittelbar verfügbar sind. Gender ist also individuell und gesellschaftlich, gleichermaßen. Es ist Teil von Sozialisation und Identität, geht aber darin nicht auf. Es ist ein Aspekt von Körper und Gefühl, geht aber auch darin nicht auf. Gender ist Teil von Strukturen, Medien, Diskursen – geht aber auch darüber hinaus. Gender ist eine soziale Tatsache, kulturell mit Bedeutung versehen, medial vermittelt, materiell-körperlich, historisch geworden, individuell bedingt gestaltbar, strukturell relevant auch ‚hinter dem Rücken der Personen‘, Teil von Ungleichheits- und Differenzstrukturen. Gender ist durchaus Lust und Glück, aber auch mit Gewalt und Ausbeutung verbunden. Gender kann im Alltag völlig trivial und relativ unwichtig sein (die Forschung spricht hier auch von ‚undoing gender‘), Gender kann aber eine entscheidende Rolle spielen bei einigen Aspekten. Bei welchen und wie – das ist eine der Hauptinteressen in der Forschung.  

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